Vorgeschichte
Ursprünglich gewann den Wettbewerb "Tannenhof" im Jahr 1998 das Büro "Schaudt-Architekten" aus Konstanz. Als ein Teil des Baugebietes später als "Experimenteller Wohnungsbau" im sogenannten "Passivhausstandard" ausgewiesen wurde, suchte man Baugruppen mit Verbindung zu Architekten, die sich mit einer groben Vorplanung bei der Stadt Konstanz bewerben mussten. Martin Wamsler erhielt am 13.12.2000 einen Anruf mit der Bitte, bis zum 18.12.2000 für die bis dahin feststehenden drei Bauherren einen Vorentwurf auszuarbeiten.
In einer "Nacht- und Nebelaktion" entstand somit ein "offenes Konzept" für die Dreiereinheit. Zielsetzung waren Variabilität und möglichst "freie Grundrisse", so dass die völlig unterschiedlichen Wünsche der Bauherren sich auch erfüllen ließen. Zudem wurde eine Erweiterung um individuelle Reihenhäuser vorgeschlagen, um eventuell noch weitere Bewerber zu gewinnen. Nach einer Vorauswahl konnten fünf Architekturbüros allen Bewerbern in einer "Architektenbörse" ihre Konzepte, Ideen und Referenzen vorstellen. Die bereits feststehenden wie auch die noch ungebundenen Bauherren konnten entweder ihren Architekten, ein Grundstück mit Architekten oder nur ein Grundstück wählen – das Chaos war somit perfekt! Keiner der Bauherren wusste zu diesem Zeitpunkt, ob er überhaupt jemals dort bauen würde!
In mehreren Auswahlverfahren wurden dann drei Baugruppen gebildet und den drei Quartieren zugeordnet. Am 17.05.2001 erhielt unsere Gruppe mit damals drei festen Bauherren und einem Interessenten die Zusage ein Grundstück zu erhalten – nur wo? Am 28.09.2001 wurde uns dann die "erste Reihe" zugeteilt – damals mit drei festen und inzwischen zwei interessierten Bauherren. Im Laufe der Planung kamen noch weitere Bewerber dazu, so dass unsere Baugruppe Ende November 2001 mit insgesamt acht Bauherren die gesamte "erste Reihe" belegte. Die Gruppe nennt sich nun offiziell "Bauherrengemeinschaft Tannenhof Süd".
Bebauungsplan
Im parallel stattfindenden Bebauungsplanverfahren wurden die teilweise abenteuerlichen städtebaulichen Vorgaben aus dem Wettbewerb – darunter beispielsweise Rankgerüste und Solarpaneele auf zehn bis elf Metern Höhe, die das gesamte Areal überspannten, Laubengänge oder Aufzüge - auf eine machbare und vor allem finanzierbare Minimalversion reduziert. Bei Bedarf bleiben Ausbaumöglichkeiten wie Laubengang und Aufzüge möglich.
Planungsphase
Im November 2001 - ein Jahr nach der Konzepteinreichung – stand für das Architektenteam schließlich fest, dass es mit acht Bauherren in der "ersten Reihe" bauen durfte. Das Baugesuch wurde vier Wochen später (!) am 31.01.2002 eingereicht, und die individuellen Grundrisse sowie Details waren in kürzester Zeit zu klären. Auf Basis eines geeigneten Grundrasters von etwa drei Metern, das eine variable Belegung für jeden Bauherren offen lässt, ist das Baufeld mit einer gesamten Länge von 50 Meter gleichmäßig aufgeteilt worden. Das Gebäude für die acht Familien besteht aus fünf Reihenhäusern sowie einer Dreiereinheit mit einer behindertengerechten Erdgeschosswohnung und zwei darüber liegenden Maissonetten. Im April 2002 fand die Wahl der Geschäftsführer der Bauherrengemeinschaft "Tannenhof Süd" statt und der Architekt erhielt auch (endlich) seinen richtigen Architektenvertrag! Änderungen durch die Prüfstatik (Erdbebenzone III) sowie der Nutzerwünsche (praktisch kein Grundriss ist wie der andere!) führten zu statischen und architektonischen Herausforderungen. Am 26.07.2002 war der Notarvertrag über den Grundstückskauf unterschrieben und nur 20 Tage später begann der Aushub der Baugrube!
Bauphase
Am 19.08.2002 feierten alle Bauherren den lang ersehnten Baubeginn mit einem Fest vor Ort. Der massive Keller wurde fertig gestellt, und am 28.10.2002 schwebten die ersten Fertigteile ein. Durch die maximale Vorfertigung – Wandteile komplett mit Fenster, Simsen, Bekleidung und innen fertig zum Streichen – war das gesamte Gebäude mit drei Vollgeschossen und 50 Meter Länge innerhalb von sechs Wochen aufgestellt. Die acht Einheiten wurden noch im Dezember 2002 "rohbaufertig" und waren im Prinzip bezugsfertig! Je nach Umfang der Eigenleistungsanteil stellten die Bauherren ihre Einheiten in den nächsten Monaten fertig.
Wohnungen
Das Architektenteam wählte eine Typologie, die ein energetisches und konstruktives Grundgerippe darstellt und in dem möglichst viele Nutzungsmöglichkeiten für die Bewohner offen gehalten sind. Das Gebäude ist mit all seinen Aufenthalts- und Schlafzimmern südorientiert, Nebenräume sind nach Norden ausgerichtet. Und es gibt keine innen liegenden Räume! Diese Zonierung lässt sich auch in der Fassadengestaltung ablesen. Bewusst wurden keine Balkone vorgesetzt, da diese bei einer notwendigen Tiefe von mindestens 2,20 bis 2,50 Metern eine zu große Verschattung für die Erdgeschosse mit sich brächten. Die konstruktiven Vorgaben in der Dreiergruppe – wie nur eine feste Innenstütze pro Achse - lassen vielfältige Variationen offen. Die Reihenhäuser erhalten frei gespannte Decken und ermöglichen unendliche Varianten, die von den Bauherren auch vollständig ausgenutzt wurden. Alle Zimmer sind als Eltern- oder Kinderzimmer möblierbar, so dass eine möglichst große Variabilität entsteht. Durch das Prinzip der "nichttragenden Innenwände" können bei Familienzuwachs zusätzliche Wände später eingebaut werden oder auch überflüssige Wände wieder entfernt werden, wenn die Kinder ausziehen.
Eigenleistung
Der Wunsch einiger Bauherren mit maximalen Eigenleistungen die Baukosten zu senken, ließ sich durch eine konsequente Trennung von Roh- und Ausbau umsetzten. In Eigenleistung wurden beispielsweise die folgenden Arbeiten ausgeführt: gesamter Bodenaufbau über den "Rohbaudecken", Spachtel- und Malerarbeiten von Wänden und Decken, Innenwände, Elektroarbeiten, Außenanlagen mit Holzterrassen, Rollrasen und Begrünung mit Büschen und Bäumen.
Freiflächen
Die privaten Freiflächen werden bei der Dreiereinheit teils gemeinsam genutzt, bei den Reihenhäusern nach Bedarf unterteilt. Es sind grundsätzlich nur offene Bodenbeläge vorgesehen. Oberflächenwasser versickert im vorgesehenen Mulden-Rigolensystem.
Resümee und Ausblick
Das "experimentelle Bauen" hat sich für alle Beteiligten - Bauherren, Planer wie auch Behörden - trotz vieler Kämpfe und Kompromisse gelohnt:
Für die Bauherren:
Ein gemeinsames Projekt in dieser für alle Beteiligten unbekannten Form als "Bauherrengemeinschaft" zu wagen, war die eigentlich Herausforderung. Es gehörte ein langer Atem dazu, diese juristischen, bauordnungsrechtlichen und nicht zuletzt persönlichen Herausforderungen zu meistern – doch dieser Schritt hat sich mehr als gelohnt! Die Freundschaften, die daraus hervorgegangen sind, werden hoffentlich für lange Zeit halten.
Für den Planer:
Das "experimentelle Bauen" hat sich hauptsächlich in der Organisation und Durchführung mit einer Bauherrengemeinschaft abgespielt. Die Passivhausbauweise ist bei uns seit Jahren "Standard"! Insofern wurde hier der Grundstock zu hoffentlich weiteren Projekten gelegt, die sicherlich noch zeiteffizienter umgesetzt werden können.
Für die Behörden:
Sehr lobenswert, dass dieses "experimentelle Bauvorhaben" trotz vieler Kritiker und einem Mehrarbeit An Arbeit über die lange Zeit durchgehalten wurde. Und so ist auf einer der letzten innerstädtischen Flächen Wohnraum vor allem für Familien mit Kindern entstanden. Bemerkenswert ist auch, dass nicht dem Druck der 0815-Bauträger – mit dem Ziel der Profitmaximierung durch ideenloses Bauen von “Singlekisten“ bis hin zur schon tausendfach vorhandenen 3 1/2 Zimmer-Eigentumswohnung mit 61,5 Quadratmetern – nachgegeben wurde. Ebenso bemerkenswert ist, dass eine fortschrittliche Bauweise nicht in Flächen verbrauchenden Neubaugebieten, sondern direkt im Zentrum ermöglicht wurde. Dies sollte weitere Kommunen ermuntern, jetzt (endlich) auch neue Wege zu gehen, die sich langfristig wieso durchsetzen werden müssen!
Und nicht zuletzt für die Umwelt...
Was sich sonst auf der fünffachen Grundfläche – und somit Umwelt zerstörend – am Ortsrand breit macht, ist hier sinnvoll sowie kompakt und mit Bus und Fahrrad für jeden erreichbar geplant und umgesetzt worden. Durch die CO 2-neutrale und zukunftssichere Pelletheizung wird die Umwelt enorm entlastet.
...und den Geldbeutel:
Dieses Projekt der Baugemeinschaft ist ein tolles Beispiel für preiswerteres Bauen, bei dem in der Gemeinschaft der Bauträgerprofit entfällt, jede Bauherrenfamilie über etwa etwa 150 Quadratmeter Wohnfläche verfügt und pro Jahr einen Restheizkostenbetrag von etwa 150 Euro inklusive Brauchwasserkosten aufbringen muss - bezogen auf eine Familie mit vier Personen!
Hier der Link zur Architektenkammer für den Preis beim Wettbewerb "
vorbildliche Bauten im Kreis Konstanz" im Jahre 2012.
Unser aktuelles Projekt, das Plusenergiehaus der Baugruppe "Licht & Luft" in Tübingen, finden Sie
hier.